Heute entscheidet sich auf einer Krisensitzung der zuständigen Minister für Wirtschaft, Arbeit und Entwicklung, welche Aufgaben und Haftung deutsche Unternehmen zukünftig für ihre ausländischen Geschäftspartner in der gesamten Lieferkette übernehmen sollen.
Bereits im Koalitionsvertrag haben sich CDU/CSU und SPD darauf verständigt, die Einhaltung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht gesetzlich zu regeln, sofern nicht die Mehrheit der deutschen Großunternehmen bis zum Jahr 2020 entsprechende Prozesse freiwillig veranlasst haben.
Freiwillige Selbstverpflichtungen reichen nicht
Eine von der Unternehmensberatung EY im Auftrag der Bundesregierung durchgeführte Befragung kam in diesem Sommer zu dem ernüchternden Ergebnis, dass lediglich jedes fünfte Unternehmen die Anforderung, bei den Geschäftspartnern soziale Mindeststandards zu überwachen und auch durchzusetzen, freiwillig erfüllt. Jetzt steht eine gesetzliche Regelung an, die das Lieferketten-Monitoring verpflichtend vorsieht. Die Eckpunkte des nun geplanten Gesetzentwurfes sind jedoch strittig.
Verpflichtung der Unternehmen zur Bekämpfung von Ausbeutung und Kinderarbeit
Auf der Arbeitsebene konnten sich die beteiligten Ministerien Wirtschaft, Arbeit und Entwicklung bisher nicht auf gemeinsame Eckpunkte verständigen. Bereits zwei Mal innerhalb weniger Wochen hat die Bundesregierung die Verabschiedung der Eckpunkte für das Lieferkettengesetz daher von der Tagesordnung der Sitzung des Bundeskabinetts gestrichen. Das heutige Krisentreffen von Peter Altmaier (CDU), Hubertus Heil (SPD) und Gerd Müller (CSU) soll nun den Durchbruch bringen. Auf dem Spiel steht viel für die deutsche Wirtschaft: Es droht ein Bürokratie-Ungetüm, welches den Unternehmen in der Praxis kaum umsetzbare Anforderungen auferlegt. So drängen Heil und Müller auf eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen für ihre Geschäftspartner im Ausland.
Praxisferne Vorstellungen zur Haftung
Doch wie realistisch ist es, angesichts komplexer globaler Lieferketten und vielfältiger gesetzlicher Landesregelungen, deutsche Unternehmen global zu verpflichten, unabhängige Vorlieferanten lückenlos zu überwachen und für deren Fehlverhalten die Haftung zu übernehmen? Strittig ist ebenfalls, ab welcher Unternehmensgröße die gesetzliche Verpflichtung gelten soll. Während NGOs eine Untergrenze bereits ab 250 Mitarbeitern fordern, sieht das BMWi die Grenze bei 5.000 Mitarbeitern.
Umweltschutz und Green Deal bleiben aussen vor
Nicht am Tisch sitzt das Bundesumweltministerium. Zwar drängt die Bundesumweltministerin, getrieben von den Umweltschutzverbänden, darauf, auch die Einhaltung ökologischer Standards in das Lieferkettengesetz aufzunehmen. Doch bisher konnte sie sich bei den Kollegen mit diesem ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz nicht durchsetzen. Dies würde das Gesetzgebungsvorhaben weiter verkomplizieren – so die Kabinettskollegen unisono.
Vorgaben des Lieferkettengesetzes würden Mittelstand überfordern
Es steht zu befürchten, dass strenge nationale Vorschriften deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb stark benachteiligen würden. Bisher hat die Bundesregierung die aktuelle EU-Ratspräsidentschaft auch nicht dazu genutzt, um das Thema auf europäischer Ebene voranzubringen. Gerade für mittelständische Unternehmen ist die Herausforderung in ausländische Märkte vorzudringen ohnehin groß. Neue Haftungsrisiken und Berichtspflichten könnten viele mittelständische Unternehmen dazu bringen, ihr Engagement in Entwicklungsländern zu überdenken. Gerade KMU fehlt die Marktmacht, Kapitalkraft und Personalstärke, um in Deutschland vorgeschriebene Standards in anderen Ländern voranzutreiben.
Gesetzesvorlage kommt zur falschen Zeit
Die von den Vereinten Nationen (UN) 2011 beschlossenen „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ gelten auch für deutsche Unternehmen. Es handelt sich jedoch lediglich um eine freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen. Die Covid-Pandemie hat in den Entwicklungsländern dazu geführt, dass sich Lebens-, Einkommenssituation und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer verschlechtert haben. Auch die konjunkturelle Situation deutscher Unternehmen hat sich massiv eingetrübt. Ob in der jetzigen Lage ein nationaler Alleingang für ein deutsches Lieferkettengesetz in die Zeit passt, ist fraglich.
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