Seit Februar hat das Sars Covid2-Virus die Welt fest im Griff gehabt. In Deutschland streben Politik und Wirtschaft nun zurück zur Normalität. Doch eines ist sicher: Die Corona-Krise wird sich auch nach der schrittweisen Zurücknahme der Kontaktbeschränkungen nachhaltig auf viele Bereiche auswirken. Schon jetzt wirkt sie wie ein Brandbeschleuniger auf die Schwächen deutscher Unternehmen bei der Digitalisierung, denn viele mittelständische Kooperationen und deren Anschlusshäuser haben dieses Thema in der Vergangenheit nur halbherzig angegangen.
Virtualisierung des Vertriebs treibt Digitalisierung
Insbesondere im Vertrieb haben die Kontaktbeschränkungen zu einem Digitalisierungsschub geführt. Wo Aussendienstbesuche, Roadshows und Hausmessen zur Kundenpflege nicht mehr möglich sind, muss die Absatzmarktbearbeitung auf digitalem Wege erfolgen. Bei aller Ausrichtung auf die Virtualisierung des Vertriebs gerät die Beschaffungsseite dabei oftmals aus dem Fokus. Denn auch hier machte Corona dem analog ausgerichteten Lieferanten-Beziehungsmanagement einen Strich durch die Rechnung. Wer die Anbindung an Beschaffungsplattformen, die Vernetzung eigener eShop-Lösungen mit den Lieferanten vor Corona nicht hinreichend vorangetrieben hat, geriet ins Hintertreffen. Die Marktanteilsgewinne der eCommerce-Puristen wird der stationäre Einzelhandel auch nach Corona nicht mehr zurückgewinnen.
Digitalisierung ist nur ein Teilaspekt des Relauchens des Einkaufs
Den Trend, durch die Nutzung digitaler Tools den operativen Einkauf zu entlasten und mehr Zeit und Raum für Strategisches Einkaufsmanagement zu schaffen, gab es lange vor Corona. Die Krise beschleunigt hier nur einen Veränderungsprozess der längst eingeläutet ist und bei dem die kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber größeren Marktakteuren im Hintertreffen sind. Die Corona-Krise wirft jedoch auch ein Schlaglicht auf die bisher ausgeblendeten Risiken der Globalisierung. Plötzlich stellt sich für den kooperativen Einkauf die Frage von Lieferketten-Unterbrechungen. Sind alle Artikel, die ich benötige, um meinen Betrieb am Laufen zu halten, verfügbar? Was mache ich, wenn mein Lieferant Engpässe hat oder überhaupt nicht liefern kann oder will? Kann ich zeitnah auf alternative Beschaffungsquellen umschalten, habe ich auch für Systemlieferanten Ersatzlieferanten aufgebaut und gelistet? Die Frage, ob die Einkaufsorganisation über ein adäquates Risikomanagement verfügt beschäftigt aktuell nicht nur die Einkäufer, sondern auch viele Unternehmensleitungen, die sich genötigt sehen, den Einkauf eines Centartikels wie einer FFP-Maske zur Chefsache zu machen.
Bisherige Lieferketten stehen auf dem Prüfstand
Nicht nur im Bereich Persönliche Schutzausrüstungen (PSA) greift ein Umdenken. In den vergangenen Jahren wurden oftmals Lieferanten reduziert und Bedarfe gebündelt, um die manuellen Aufwände möglichst gering zu halten und Kosten zu sparen. Dies sorgt in der Corona-Krise für zusätzliche Herausforderungen, denn in der weltumspannenden Pandemie haben plötzlich ganze Beschaffungsmärkte Lieferengpässe und Lieferausfälle.
Was jetzt in der Beschaffung zählt
In der Beschaffung zählt jetzt vor allem Liefersicherheit. Auch in der Krise benötigen Unternehmen zuverlässig Warennachschub. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass alle Mitarbeiter unkontrolliert neue Beschaffungsquellen suchen und bestellen. Der Einkauf muss stets Transparenz und Kontrolle über den Beschaffungsprozess haben. Die Corona-Krise ist eine Ausnahmesituation, dennoch müssen Einkaufsrichtlinien eingehalten werden.
Was jetzt in der Beschaffung zählt
In Deutschland scheint der Höhepunkt der Pandemie überwunden zu sein. Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Beschaffungsaktivitäten der Unternehmen verstärken sich aktuell jedoch noch. Darauf deutet auch die aktuelle Umfrage der Visable GmbH, Betreiber der B2B-Marktplätze „Wer liefert was“ und EUROPAGES hin: In ihrer zweiten Umfrage ging Visable der Frage nach, welche Folgen die Coronavirus-Pandemie für den Mittelstand im deutschsprachigen Raum hat. Dabei wurden Ende April 2020 rund 300 KMU-Entscheider aus der DACH-Region befragt. Die erste Umfrage zum Thema hatte die Visable GmbH im März durchgeführt.
Die Ergebnisse der Umfrage sind ernüchternd und verdeutlichen die Zuspitzung der Lage für viele Unternehmen:
- 62 Prozent leiden, nach eigenen Angaben, unter Umsatzeinbußen (Vergleich März: 45 Prozent).
- 40 Prozent gaben an, in deutlich reduzierter Form zu arbeiten (Vergleich März: 19 Prozent).
- 36 Prozent der Befragten gaben an, vor Beschaffungsproblemen zu stehen (Vergleich März: 28 Prozent)
Die Umfrage wirft ein Schlaglicht auf die Herausforderungen im Strategischen Einkauf der Unternehmen: Die Produktionsausfälle vieler Vorlieferanten insbesondere in Beschaffungsmärkten Asien, Italien, Frankreich und der USA, die für rund 60 Prozent des Beschaffungsvolumens deutscher Unternehmen stehen, wirken sich erst zeitverzögert in der Zukunft aus. Die dramatische Situation bei den PSA in den letzten Monaten steht hier als mahnendes Beispiel für ein Primat der Kostenoptimierung ohne adäquates Risikomanagement.